Egoismus und Bedürfnisse
Ich will aber nicht so sensibel sein. Ich weiss ja, dass ich ein grosses Herz habe und auch ganz gut merke, wie es anderen geht und es mir auch gut vorstellen kann und so. Aber ich darf doch nicht wegen meiner trauernden Freundin so traurig werden, dass ich alleine gar nicht mehr damit klar komme. Eigentlich würde ich sie jetzt brauchen damit sie mich tröstet. Aber ich kann sie doch nicht brauchen, wenn sie doch die ist, die den Grund hat zum traurig sein. Inzwischen habe ich sie einmal gesehen und das war gut, da ging es mir besser irgendwie. Geteiltes Leid ist halbe Leid, sagt man doch. Und als ich mich mit unserer gemeinsamen Freundin getroffen habe, ging es mir sogar fast gut. Bis sie weg war, danach bin ich total in ein Loch gefallen. Also jetzt, ich habe ganz ganz lange einfach ganz fest geheult ohne zu wissen warum. Ich halte das Alleinsein gerade eh nicht gut aus, obwohl ich auch sonst oft und viel alleine bin und das eigentlich ganz okay ist. Aber jetzt ist es irgendwie furchtbar. Und ausgerechnet jetzt, wo ich doch alleine nicht klarkomme, habe ich ja auch meine beiden Freundinnen fast nicht mehr. Weil die eine trauert und hat die andere als ihre Unterstützerin ausgewählt, weshalb die jetzt mich ja nicht auch noch trösten kann und mag, das verstehe ich auch. Aber wer hilft denn jetzt mir, wenn ich es doch selber nicht hinkriege? Meine Mama versucht es ja, aber sie kann das nicht so gut. Und ich fühle mich echt total egoistisch, weil ich mir wünschen würde, getröstet zu werden und dass alles anders ist. Obwohl es doch hier gar nicht um mich geht. Und ich fühle mich auch irgendwie ausgeschlossen, weil die trauernde Freundin doch lieber mit der anderen Freundin zusammensein will. Das verletzt mich, obwohl ich es eigentlich okay finde. Aber ich habe gar niemanden mehr, weil es versteht ja auch keiner, warum ich plötzlich so traurig bin. Weil ich ja keine Grund habe, eigentlich. Ausser eben der gemeinsamen Freundin, die versteht mich schon, aber hat keine Zeit und Energie. Als ich sie heut gesehen habe, konnte ich sie auch ein bisschen trösten. In ihrer Gegenwart war alles gut, so wie es sein sollte, fast fröhlich, aber auf jeden Fall nicht so einsam wie sonst die ganze Zeit. Und eben jetzt auch wieder. Am Wochenende fahren sie zusammen weg, hat sie erzählt, das finde ich gut. Weil eigentlich wäre sie alleine gefahren, aber sie wollte doch unsere Freundin nicht alleine lassen. Ich finde es gut, dass sie so trotzdem fahren kann. Und ich finde es gut, dass unsere trauende Freundin so ein bisschen abgelenkt wird und ganz viel Liebe erfährt. Aber ich finde es auch gar nicht gut, dass ich alleine hierbleibe und alleine weine. Und das wiederum finde ich furchtbar egoistisch. Was ist eigentlich Egoismus und was sind einfach Bedürfnisse? Und ist es egoistisch, wenn man die hat?
Frage gestellt zu: Liebe, Sex und Freunde
Unbedingt auf eigene Bedürfnisse achten
Liebe Daphne
Du weisst also, dass du sensibel und empathisch bist. Und dass du deshalb an deine Grenzen kommst und die Gefühle zu stark werden. Und wenn es soweit ist, kannst du für deine Freunde gar nicht mehr da sein, weil du von deinen eigenen Gefühlen überwältigst wirst. Genau deshalb solltest du deine eigenen Gefühlen sehr ernst nehmen. Wenn du gut auf dich selbst aufpasst, hast du genug Energie, um dich um deine Freunde zu kümmern. Das ist nicht egoistisch, sondern realistisch. Du bist sehr streng mit dir und findest, dass du eigentlich keinen Trost verdienst. Obwohl du gleichzeitig merkst, dass es genau das ist, was du bräuchtest. Und alles zusammen macht dich wütend auf dich selbst und du fühlst dich hilflos. Doch das brauchst du nicht.
Egoismus ist, wenn man ohne Rücksicht auf andere nur auf seine eigenen Wünsche achtet. Jemanden, der egoistisch ist, würde die ganze Situation gar nicht bedrücken. Ein Bedürfnis ist, wenn man etwas zum Leben braucht. Es gibt verschiedene Arten von Bedürfnissen. Körperliche Bedürfnisse sind Essen, Trinken, Schlafen usw. Dann gibt es soziale Bedürfnisse wie Geborgenheit, Verbundenheit. Alle haben Bedürfnisse, denn die sagen uns, was wir brauchen, um zu überleben. Deshalb ist es überhaupt nicht egoistisch, Bedürfnisse zu haben und auf die zu achten, sondern normal und unbedingt notwendig. Nur wenn du auf deine eigenen Bedürfnisse achtest, kannst du auch wirklich für andere da sein.
Liebe Grüsse, Mika