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Leide unter meinem Äusseren

Hallo, liebes Kopf Hoch-Team,
ich weiß absolut nicht mehr weiter. Seit Monaten geht es mir nicht gut und ich leide sehr unter meinem Äußeren.
Genau dies beeinflusst leider mein komplettes Leben. So bin ich z.B. nicht in der Lage, einen vernünftigen Schulabschluss nachzuholen, Kontakte zu pflegen, ohne Sorgen das Haus zu verlassen... seit vielen Monaten versuche ich nun schon, den Tag "einfach" zu überleben. Am Abend, wenn es dunkel wird, nimmt die Anspannung wenigstens ein wenig ab. Dann gönne ich mir etwas leckeres zu Essen, schaue mir einen Film an, trinke einen Cappuccino, höre Musik..
leider sind mir suizidale Gedanken nicht fremd. Ich hatte dieses Jahr ernsthafte Absichten und habe dieses Vorhaben sogar schon vorbereitet. Davon weiß niemand, ich habe mich danach weiter durchs Leben gequält, so gut es ging. Denn ich habe es nicht übers Herz gebracht, meinen Lieben das anzutun.
Ich bin im Moment sehr orientierungslos. Zur Arbeit schaffe ich es nur, wenn ich mich selber schütze,indem ich mich mit meinen Makeln nicht beschäftige bzw. sie betrachte.
Ich bin selber schockiert, wie viel Einfluss das Betrachten auf meine Gefühlslage haben kann/hat. Durch eine OP habe ich nun eine längliche Narbe auf der Stirn, was mich psychisch sehr belastet. Zwar kann ich die Narbe durch Haare verdecken, aber selbst das beruhigt mich nur in äußerst geringem Maße.
Mein Denken geht sogar schon so weit, dass ich glaube,erst dann wieder einigermaßen fröhlich sein bzw. ein normales Leben führen zu können, wenn diese Narbe nicht mehr sichtbar sein würde. Die Narbe war anfangs noch sichtbarer durch die rote Farbe, inzwischen ist sie sehr hell und somit ebenfalls deutlich sichtbar. Wenn ich an die Narbe denke, dann geht es ja noch... aber wenn ich sie mir ansehe fühlt es sich an,als würde alle Kraft schwinden.. nicht selten tauchen auch dann wieder Suizidgedanken auf..
ich war schon oft in Therapie, sowohl ambulant als auch stationär. Im Großen und Ganzen kann ich sagen, dass fast alles vergeblich war. Wieso sollte es diesmal klappen?
Ich habe schon unfassbar oft versagt, immer wieder die Schule abgebrochen und und und...
ich selber erachte mich mittlerweile schon quasi als hoffnungsloser Fall. Auch kann ich nicht dafür garantieren,dass ich mir in Zukunft nichts antun werde.
Was würdet ihr mir raten? Denkt ihr, es gibt noch Hoffnung für mich? Und haltet ihr es für möglich, dass ich mich (trotz einiger Makel im Aussehen) irgendwann annehmen kann?
Grüße

Frage gestellt zu: Liebe, Sex und Freunde

Bist du mit anderen auch so streng wie mit dir?

Liebe Tina
Als allererstes muss ich dir ein Kompliment machen. Ich finde es faszinierend, wie gut und wortgewandt du dich ausdrücken kannst, und wie differenziert du deinen Gefühlen Namen und deinen Empfindungen Wörter verleihen kannst. Das können die wenigsten Leute. Du drückst dich sehr gut aus, und Menschen, die sich gut ausdrücken, werden normalerweise als intelligenter wahrgenommen, das ist sicher eine Qualität von dir! Du scheinst ein sehr reflektiertes Mädchen zu sein, das sich viele Gedanken macht. Das kann gut sein, weil man nicht alles einfach hinnimmt, wie es ist. Es kann aber auch zur Belastung werden, wenn sich die Gedanken anfangen zu drehen, was bei dir zum Problem wird.
Nun muss ich dir aber sagen, dass ich finde, du bist furchtbar streng mit dir! So wie du mit dir umgehst, würdest du doch nie im Leben mit einer deiner liebsten Personen reden oder? Findest du denn, du hast es verdient, schlechter behandelt zu werden, als deine Mitmenschen? Ich bin mir nämlich fast sicher, dass du dich schlechter behandelst als deine Mitmenschen. 
Ich bin froh, dass du deine Suizidgedanken nicht umgesetzt hast. Du hast rechtzeitig die Notbremse gezogen und gemerkt, dass du deinen Liebsten sowas nicht antun möchtest. Es geht hier aber nicht nur um dein Umfeld, sondern auch um dich. Nur schon von deinem kleinen Text, habe ich das Gefühl, dass du ein Mädchen mit ganz viel Potenzial bist - und ich habe noch nicht einmal mit dir gesprochen. Ich merke aber auch, dass du ein ganz schlechtes Selbstbild hast und dein Selbstbewusstsein völlig am Boden ist. Das Gute ist nun, dass man am Selbstbild arbeiten kann, den Selbstwert steigern kann und Potenzial da ist, um entwickelt zu werden. Stell dir vor, du würdest dir was antun oder hättest deine Suizidgedanken umgesetzt - du könntest dein Potenzial nie in Wirklichkeit umsetzen, denn dafür hättest du dann nie mehr eine Chance. Ich fände das ganz tragisch. 
Solange du so schlecht über dich denkst, bist du natürlich auch nicht so leistungsfähig, was sich schulisch auswirkt. Du traust dir nichts zu, und schaffst drum auch viel weniger, als zu was du eigentlich fähig wärst. Ähnlich ist es mit den Kontakten, die du nicht halten kannst - du fühlst dich unwohl in deiner Haut und magst dich drum gar nicht anderen Leuten präsentieren. Dann ist es auch schwierig Kontakt zu halten. Wenn du dich nicht magst, sobald dich andere Leute umgeben, strahlst du das auch aus und du gibst den Leuten das Gefühl, es gibt nichts an dir zu mögen. Du machst dich uninteressant. 
Makel sind doch aber genau das, was die Leute interessant macht! Vielleicht hat man wegen den Medien das Gefühl, man sollte Makellosigkeit anstreben, weil Photoshop und andere Programme unrealistische Puppen erschaffen. Aber Puppen sind eben nicht spannend. Das Leben hinterlässt Spuren am menschlichen Körper und zeichnet einem. Bei manchen ist die Zeichnung auffälliger, bei manchen weniger. Hinter jeder Zeichnung steckt aber eine Geschichte. Deine grosse Aufgabe ist, deine Geschichte zu akzeptieren, damit du dein Leben mitbestimmen kannst. Lass dich nicht von deiner Geschichte völlig einnehmen und dich durch sie bestimmen. Nimm sie an, als Geschichte, aber nimm die Zukunft als eine Herausforderung, die du noch mitgestalten kannst. Dein Körper ist wie dein Haus: Du wohnst da drin, aber du musst noch herausfinden, welche Ausstattung am besten passt, damit du dich auch wohl fühlst, dich gerne drin zurückziehst, es aber auch gerne präsentierst und Leute dazu einlädst. Du musst lernen, dass deine Makel interessant sind und eine Geschichte erzählen. Sie machen dich speziell und heben dich von der Masse ab. Das ist etwas Schönes!
Du sagst zwar, du hast schon ganz viele Therapien versucht, aber nichts hätte genutzt. Ich glaube, du hast die für dich passende Person noch nicht gefunden. Du solltest mit jemandem über deine Sorgen und Ängste reden, dem/der du voll und ganz vertrauen kannst, und die gleiche Sprache wie du sprichst. Wenn du bis jetzt eine gewisse Therapieform (z.B. kognitiv-verhaltenstherapeutisch) versucht hast, versuch mal eine andere. Ich würde dir anraten, eine Therapie zu machen, die integrativ körperliche und psychische Aspekte verbindet. In Deutschland fändest du das hier:http://www.koerperpsychotherapie-dgk.de/in der Schweiz z.B. hier:http://www.ibp-institut.ch/therapie/ibp-psychotherapeutinnen/Du findest diese Art von Therapie aber überall. Informiere dich mal über die verschiedenen Therapieformen und welche dir am meisten entspricht.
Ich bin mir sicher, dass du lernen kannst, dich anzunehmen. Es ist nicht immer ein einfacher Weg und Geduld mit sich zu haben, ist manchmal sehr viel schwieriger als mit anderen geduldig zu sein. Aber wie schon gesagt, sei mit dir nicht strenger als mit deinen Liebsten, sei auch nicht ungeduldiger mit dir als mit deinen Liebsten. Fange an, alles was du positiv an anderen Leuten siehst, auch an dir zu finden. Schreib z.B. alles auf, sobald dir etwas an jemand anderem gefällt und finde dazu immer etwas, was dir an dir gefällt. Diese Liste kann sehr lang werden. Wenn du diese Liste anfängst zu entdecken, fängst du auch an, dein Potenzial zu akzeptieren und zu entwickeln.
Ich wünsche dir dafür ganz viel Geduld 
Claire

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