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raus aus freikirchlicher Grossfamilie

hallo ihr
Es wird mir wohl schwer fallen, meine Frage verständlich zu formulieren. Nun, ich werde es trotzdem versuchen und damit beginnen, meine Situation kurz zu schildern:
Ich komme aus einer freikirchlichen Grossfamilie,deren Regeln und Strukturen mir bereits eine Magersucht einbrachten, die ich aber mittlerweile mit der Hilfe zweier Ärzte überwunden habe. Ich bin noch immer bei ihnen in Behandlung, machte mit Selbstverletzung und anderen Dingen klar, dass ich es nicht alleine aus dieser Freikirche schaffe. Sie verstehen das, und der nächste Schritt wäre, von zu Hause wegzugehen. Ja, das werde ich. Aber es macht mir verdammt viel Angst. Denn eigentlich habe ich ja alles.
Was ist denn schon mein Problem? Mir fehlt die Luft zum Atmen, das merke ich, aber ich sehe keinen greifbaren Grund dazu. Ich fühle mich gemein und undankbar, denn meine Familie, sie ist das Allereinzigste, das ich noch habe, und ich kann sie doch nicht einfach hintergehen, nur um nachher da draussen zu stehen und zu bemerken, dass da auch alles nur Menschen sind. Ich sehe meine Zukunft nirgendwo, ich bin 16 und wollte eigentlich die Kantiprüfung machen. Doch ich merkte, dass es mir zu viel wird. Ich bin zu viel, das Leben ist zu viel. Da sehe ich nicht mehr hinaus. Wo ist da noch Hoffnung, ohne Geld oder Familie, ohne Freunde? Es ist keine Hoffnung. Ich weiss nur, dass ich zu Hause nicht bleiben KANN. Muss ich denn weitermachen? Ich kann nicht aus meiner Haut! Ich will nur noch weg.
Vielleicht können Sie ja versuchen, einiges zu klären, oder mich einfach zu beruhigen. Ich weiss, diese Forderung ist etwas komisch, nun, das liegt daran, dass kein Mensch je zu mir sagt, das ich etwas richtig mache. Manchmal halte ich mich selbst für verrückt oder unfassbar selbstmitleidig, weil alle anderen, die von zu Hause fortwollen, eine drogenabhängige Mutter und einen gewalttätigen Vater haben. Meine Eltern sind ein Vorzeigeehepaar. Ich bin das hoffnungslos brave Produkt.
Liebe Grüsse jaygirl

Frage gestellt zu: Liebe, Sex und Freunde

Du hast alles, nur das nicht, was du wirklich brauchst

Liebes jaygirl
Du bist eine intelligente junge Frau und deine Beschreibung ist sehr anschaulich. Du kannst dich gut ausdrücken. Deine Analyse deiner Situation stoppt plötzlich dort, wo du in einen Loyalitätskonflikt mit deiner Familie kommst. Lass es mich hier aussprechen: die Wertewelt deiner Familie ist dir zu eng, die Regeln und Strukturen lassen dich nicht zu der Frau werden, die du bist. Die Rollen in der Freikirche sind besetzt. Die Guten sind aktive Gläubige und sie bewegen sich innerhalb der Regeln. Also kannst du nicht zu den Guten gehören, sobald du dich in irgend einer Form entfernst.
Die Frage ist, ob du es zulässt, dass deine Familie die alleinige Hoheit hat darüber zu entscheiden, wer gut ist und wer nicht. Falls du dir selber das Recht erlaubst zu entscheiden, dass du gut sein kannst ohne die enge Welt der freikirchlichen Familie, dann verschaffst du dir Luft zum atmen. Es braucht auch den Mut, dass du andere Menschen draussen als gut bezeichnen kannst. Nicht alle, bei weitem nicht. Aber es hat sie, die guten Menschen ausserhalb deiner bisherigen Welt.
Du hast gute Ärzte, die dich begleiten. Nimm ihre Hilfe auch bei der Ablösung von deiner Familie in Anspruch. Wenn dir dieses Weggehen gelingt, kannst du weiterhin eine Beziehung zu deiner Familie pflegen. Es ist nicht nötig, die Brücken hinter dir abzubrechen. Auch wenn es deinen Eltern und dir weh tun wird, eure Bindung ist sicher so stark, dass sie diese Belastung aushalten wird. Damit dein Weggang gelingt, brauchst du eine Jugendberatung, die dich unterstützt. Deine Ärzte können dir hier einen Kontakt vermitteln. Diese Sozialarbeiterin regelt auch die Finanzen und vor allem hilft sie dir einen Ort zu finden, an dem du wohnen, atmen und essen kannst. Also einen Ort, wo du dein Leben selber gestalten wirst. Du wirst das lernen müssen und es wird anstrengend sein, die Entscheidungen selber zu fällen. Aber es ist das Richtige für dich, das spürst du und dein Körper sagt es dir schon lange. Ich sage dir, du tust das Richtige, wenn du dich für dich selber entscheidest.
Ich wünsche dir den Mut, die Angst vor dem Neuen zu überwinden.
bettina

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